Zeitlose Schönheiten

Januar 24, 2018


Ein wenig fühlt man sich ins Paris der 60er Jahre versetzt - die Münchner Galeriestraße mit ihren vierstöckigen schmalen Häusern samt Giebeldächern erstreckt sich bis zum historischen Odeonsplatz, an dessen südlichem Ende die, dem bayrischen Heer gewidmete Feldherrenhalle thront. Der Eingang der Galerie Bartsch & Chariau ist kaum zu erkennen. Es ist eine konventionelle Haustür rechts neben dem Theatermuseum, das ganz aktuell in seinem Schaufenster die Familie und Karriere des im vergangenen Jahr verstorbenen Schauspielers Götz George bebildert. Ein buntes Durcheinander an Klingelschildern aus schwarzem und goldenem Messing hängt links neben der Tür und man ahnt, dahinter befindet sich mehr, als man im Vorbeigehen erwarten würde.
Alles fing im Jahr 1980 an, als Joëlle Chariau und ihr Bekannter Andreas Bartsch eine Galerie für Cartoons und Karikaturen in München eröffneten. Die zierliche Dame mit dem klassischen Pagenkopf hatte in den 1970ern für den Kunstraum gearbeitet, der eine Art Mittelpunkt der minimalistischen und konzeptionellen Kunst jener Zeit war. „Zum ersten Mal hatte ich Kontakt zu Künstlern und zu meiner Überraschung konnte ich mit ihnen sprechen.“, erzählt sie. „Es war so, als sei ich in der Lage, eine Sprache zu sprechen, die ich nie gelernt hatte.“ Andreas Bartsch, ein Freund Chariaus, hatte für eine seit kurzem geschlossene Galerie gearbeitet und die beiden kamen auf die Idee gemeinsam einen eigenen Ort der Kunst zu eröffnen. Der Schwerpunkt sollte auf Künstlern wie Sempé oder den Karikaturisten des New Yorkers wie Peter Arno oder Chas Addams liegen. Eines Tages blätterte Joëlle in einer alten Zeitschrift aus den Fünfzigerjahren und stieß auf eine Modeillustration von René Gruau. Ein neues Spektrum der Kunst war entdeckt.
Sie fing an, sich mit der Thematik der Modegrafiken auseinanderzusetzen. 


„Ich war wirklich verblüfft, wie viele dieser Arbeiten ich kannte – aus meiner Kindheit, aus den Zeitschriften meiner Mutter“ erzählt Madame Chariau.


Als sie Gruau 1982 kontaktierte, konnte er erst gar nicht verstehen, warum die Kunstliebhaberin sich für seine Modezeichnungen interessierte. Denn anders als zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die großen Modezeichner alle noch einen klassischen Hintergrund hatten und Galerien ihre Kunstwerke präsentierten, löste die Fotografie irgendwann die Grafik als Modemedium ab. Vor allem an den Originalen schien kein Interesse mehr zu bestehen. Doch nun kam plötzlich eine Wahl-Münchnerin und forderte Gruau auf, in seinen Wohnungen nach alten Zeichnungen zu stöbern, die er im Laufe seiner Karriere als Werbegrafiker und Modeillustrator seit den 1930ern erschaffen hatte.

Modegrafik von Franziska Ribbeck
 „Er rief dann immer an und sagte ’Oh, ich habe noch irgendwas gefunden. Also auf einem Schrank in Rom, unter einem Bett in Cannes, in einer Kommode in New York’ und so fing es an.“ 1989 organisierte Joëlle Chariau mit Unterstützung des Modehauses Christian Dior eine Retrospektivausstellung seiner Zeichnungen im Palais Galliera in Paris. Sie wurde ein Riesenerfolg und bescherte René Gruaus Karriere nach der Ruhe der 60er und 70er Jahre ein großes Revival. Mit diesem Umschwung setzte auch eine Neubewertung der Modeillustration auf dem Kunstmarkt ein. Heute erzielen Originale von René Gruau bei Auktionen fünf- bis sechsstellige Eurobeträge. Im Laufe der letzten dreißig Jahre hat die gebürtige Französin eine der bedeutendsten modegrafischen Sammlungen der Welt zusammengetragen.
Ein Künstler, der es ihr dabei besonders angetan hat, ist der Schwede Mats Gustafson. Durchscheinend und schemenhaft wirken die von ihm dargestellten Kleidungsstücke auf den ersten Blick. Dennoch vermitteln die Bilder so etwas wie die Essenz der modischen Entwürfe. „Wenn sie das gesehen haben, das vergessen sie nicht. Das ist das Abstraktionspotenzial der Zeichnung.“, schwärmt Joëlle Chariau.

Dior by Mats Gustafson gibt es z.B. hier
Ganz aktuell im Buchhandel erschienen ist Dior by Mats Gustafson. Ein Bildband zum 70. Jubiläum des Modehauses, das den Künstler 2012 gebeten hatte, die Entwürfe, des damals frisch eingesetzten Kreativdirektors Raf Simons für ein Dior-Magazin in Szene zu setzen. Aus dem Projekt wurde eine langjährige Zusammenarbeit und daher changieren alle Dior-Kollektionen seit der Frühlingssaison 2013 in Mats Gustafsons weichen, pudrigen Aquarellfarben. Einige seiner Werke findet man auch in dem Bildband Drawing Fashion, den Madame Chariau 2013 herausgegeben hat. Darin kann man Arbeiten der bedeutendsten Modezeichner der letzten hundert Jahre bewundern, welche beweisen, dass gute Modeillustrationen immer mehr gezeigt haben als nur Kleider. Sie geben nicht nur die spezifische Handschrift der Modeschöpfer wieder, durch ihre zeitgemäße Art der Illustration fangen sie auch das Lebensgefühl der jeweiligen Epoche ein. 

„All diese Künstler sind berühmt geworden, weil sie nicht nur die Mode interpretieren, illustrieren konnten, sondern durch ihre Fähigkeit, Bilder des Begehrens zu erschaffen.“, so Chariau.


Seit vier Jahren arbeitet die Münchner Galeristin auch mit Aurore de La Morinerie zusammen. Sie ist die einzige Vertreterin der jüngeren Generation von Modezeichnern und die einzige weibliche Künstlerin in Drawing Fashion. Ihre Entdeckung war ein Zufall, wie Madama Chariau erzählt. „Sie hatte der Galerie geschrieben. Doch heutzutage erhalten Galerien so viele E-Mails von Künstlern aus der ganzen Welt, dass es nicht einmal möglich ist, sie alle zu lesen. Ich verwechselte ihren Namen mit de La Morinière, der mir vertraut war, und öffnete daher ihre E-Mail. Sie hatte zwei ihrer Zeichnungen beigefügt, die ich interessant fand. Als ich das nächste Mal nach Paris fuhr, besuchte ich sie in ihrem Atelier, und seither arbeiten wir zusammen.“ Laut der Kunstliebhaberin Holly Brubach haben Aurores Bilder einen sehr hohen Wiedererkennungswert. Sehr treffend formuliert sie in Drawing Fashion: „Die von Morinerie dargestellten Frauen haben etwas Geisterhaftes, ihre Silhouetten sind unscharf, als sei ihre Haut eine durchlässige Grenze zwischen ihnen und der Welt, als sei ihr Selbstbild mehrdeutiger als das Bild, das sich die Männer von ihnen machen.“
„Mode-Zeichnungen sind heute noch relevant, aber auf eine andere Art und Weise.“ bemerkt auch Chariau. „Sie sind freier geworden, abstrakter, experimenteller, auf das Wesen eines Kleidungsstückes und auf den Geist eines Stils konzentriert."


Eine neue Art der Modeillustration findet man bei der Australierin Megan Hess. Die ausgebildete Grafikdesignerin zeichnet mit ihrem personalisierten MontBlanc Füller, genannt Monty, modebegeisterte Frauen in ausladenden Roben. Inzwischen hat die Künstlerin vier Bildband-Bestseller veröffentlicht und mit ihrer Zeichenkunst eine riesige Fangemeinde erreicht. Auch durch die Münchnerin Jasmin Khezri und ihre zur Kultfigur gewordene Irma, die als Modemedium vor allem das World Wide Web nutzt und einen eigenen Fashion Blog führt, werden mittlerweile neue Wege der Verbreitung genutzt.
Die Kunst der Modeillustration lebt also fort und findet auch weiterhin Bewunderer. Damals wie heute zeigt sie in kleinen, liebevoll illustrierten Kunstwerken, den aktuellen Zeitgeist mit all seinen Facetten.








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